Oder Lyrik

In Wattenscheid weiß ich
einen, der mich liest,
und in St.Andreasberg.
Außerdem noch einer,
ziemlich quer,
Der ist wieder weg.
Also zwei.

Vor dem Fenster knospen
unsre Birnenbäumchen
von der Hochzeit.
Auch zwei.

Wähle, Dichter.

© hertz

Zensur

Es kommt nicht oft vor, dass ein kleines Gedicht etwas Böses tut. Jetzt offenbar doch, und darum muss es weg. Passiert in der Bundesrepublik.


avenidas
avenidas y flores

flores
flores y mujeres

avenidas
avenidas y mujeres

avenidas y flores y mujeres y
un admirador

***

alleen
alleen und blumen

blumen
blumen und frauen

alleen
alleen und Frauen

alleen und blumen und frauen und
ein bewunderer

Die Alice Solomon Hochschule in Berlin will dies Gedicht übermalen, in großen Buchstaben steht es auf ihrer Fassade in Berlin-Hellersdorf geschrieben. Autor ist der Schweizer Schriftstellers Eugen Gomringer. Der Beschluss des Akademischen Senats stammt vom Dienstag, 23.01.2018.

Gomringers auf Spanisch verfasstes Gedicht „avenidas“ steht in der Kritik, weil es Frauen gegenüber als diskriminierend aufgefasst werden könne. Das Stichwort „Sexismus“ fiel in der schon Monate währenden Debatte. Der Lyriker hat lt. Medienberichten die geplante Übermalung scharf kritisiert. „Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst und Poesie“, sagte der 93-Jährige am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Die Maßnahme richte sich gegen ein „nicht weichgespültes Gedicht“.

Liliencron

Detlev von Liliencron lebte Ende des 19.Jahrhunderts in Schleswig-Holstein. Von 1883 bis 1885 war er Kirchspielvogt in Kellinghusen (Holstein). Geldmangel und Frauengeschichten prägten sein Leben – nicht nur an diesem Ort.

Störkathen ist eine kleine Heidelandschaft unweit von Kellinghusen, die der Dichter gerne aufsuchte. Ein ruhiger Ort, durch den auch Autor schon manchmal geschlendert ist. Vielleicht entstand hier eines von Liliencrons Gedichten, das er der Kieler Zeitung zum Abdruck vorlegte – dort aber bedauerte man.

Der Volontär bei der Kieler Zeitung und angehende Dichter Johannes Kruse bedauert, dass das von Liliencron eingesandte Gedicht Persisches Liebeslied nicht abgedruckt werden kann, da es zu erotisch sei. Das Werk selbst ist aber nicht daran schuld. Vielmehr sei die Redaktion gezwungen, auf das Publikum Rücksicht zu nehmen. „Mancher Backfisch u. rührselige alte Jungfer ist darunter, und zwar nicht nur vom weiblichen Geschlechte. […] Anständige rote Grütze und fromme unschuldige Milch‚ das ist es, was ein ansehnlicher Teil von unsern Lesern verlangt.“

Persisches Liebeslied

Deine dunklen Augenbrauen
Sind zwei sanfte Pfortenbogen;
Eines lichtwechselnden Gartens Eingang
Haben sie zierlich überzogen.

Aber viel schwarze Wimpernspeere,
Die rings ihn, ein reizender Wall, umschmücken,
Setzen sich trotzig gradaus mir entgegen,
Trag ich Verlangen, dort Rosen zu pflücken.

Heut, als meine Liebe glühte,
Ließest du mich nicht länger warten,
Und durch die sanften Bogenpforten
Fand ich den Weg in den Märchengarten.

Die Stunde war still, die Menschen gingen
Vorüber und konnten uns nicht entdecken;
Wir saßen vom Fenster weitab in der Halle,
Sie konnten so hoch nicht die Hälse recken.

Und ungestört, eine selige Stunde,
Durft ich im Paradiese weilen
Und Rosen pflücken, so viel ich wollte;
Ich glaube, wir pflücklen zu gleichen Teilen.

Inzwischen sanken die Wimpernspeere
Wie Fahnen, besiegt auf erstürmtem Hügel,
Und lagen geschlossen in süßer Ermüdung,
Wie des ermatteten Schmetterlings Flügel.

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