Advent

Wir nehmen sofort den Trecker.
Unter rot blinkenden Fixsternen
zerschlagen Rotoren die Regenfront.
Ein blauer Helikopter durchwühlt
die Wolkendecken auf der Suche
nach himmlischen Heerscharen.
Schwarze Saatkrähen schrecken hoch.
Wieder zu Hause warten wir
auf die Tagesschau.

© hertz

茶艺 – cháyì

Unsterblich zu werden,
das wollte der weise
Lu Tong nicht erwägen,
begehrte zu kosten
stattdessen den Tee,
zart hauchig voll Freude,
gern Schale um Schale,
bereitet zur Andacht
des Herzens, der Sinne,
so fern allem Arg.

© hertz

Alte Jungs

Die Nase im Glase,
der Riesling belebt.
Ein Prost auf die Pauker!

Mit schnipsligen Spickern
zum gallischen Kriege.
Physiktest beim Rabe,
der scheuchte die Raucher,
und rächte die Pärchen.
Christin in der Elften
man hätte sie gerne
. . .
Es wölben sich Hände
zu fülligen Kelchen
am wiehernden Stammtisch.

Die Nase im Glase,
der Riesling belebt.
Na, Prost auf Christinchen!

Nur ich bleibe schweigsam,
schrieb ihr einst Verse.

© hertz

Ulla

Da geht Ulla,
sie ist in der Neunten,
sagt meine Mutter.
Ulla guckt
durch mich durch.
Ulla trägt
einen grauen Pullover,
selbstgestrickt,
sagt meine Mutter,
Patentmuster,
sagt meine Mutter.
Die Ullas
wohnen nebenan zur Miete,
wir haben ein Haus.
Ulla sieht mich trotzdem nicht.
Vor meinen Augen schlenkert sie
ihre Schultasche hin und her.
Ich muss den Ranzen
auf den Rücken schnallen.
Ulla ist so was wie eine Frau,
noch nicht ganz, aber irgendwie.
Ihr grauer Pullover
wölbt sich vorne, ich starre.
Für Ulla bin ich nicht da,
wenn ich durch die Hecke spähe
in meiner dünnen Turnhose.

Ulla geht in die Neunte.
Ich komme in die Fünfte.

© hertz

Kniepsand So

Nett

Mein Meerhaus ankert blau auf weißem Sand,
die Nummer vier gleich links vom Rippelfeld,
willkommen jedem, der sich zugesellt.
Der Weg führt geradeaus, ist unbenannt.

Die Flut verbeugt sich artig stets, galant,
macht höflich einen Bogen um das Zelt,
kommt nur bei Neumond heimlich vorgeschnellt,
leckt dann genüßlich an der Plastikwand.

Solch Lüste hält man endlos nicht im Zaum,
es schwillt und rollt bald gierig von Nordwest,
verleibt sich schließlich ein den Kindertraum.

November gibt dem Strandidyll den Rest.
Die Sommergründung schluckt der graue Schaum.
Zog um schon Wochen vor dem Martinsfest.

©hertz

Dämmerung

Der erste Zug
zerspant
das Frühlicht,
kreischt
in der Kurve,
verschüchtert
das Begehren.
Bilder fliehen
den Schlaf.

Rechtsgewälzt.
Linksgewälzt.
Herzspitzenstoß,
es pocht,
es pocht.
Der ich bin,
ist nicht da.

© hertz

Riminiszenz

In Superacht:
luftgekühlt
über den Brenner gekrochen,
für die Kamera
teutonisch getobt
wie die Sieger,
dann kotzen die Kinder,
ist aber nicht mit drauf.
Später Babsie, becremt sich
den Bauch mit Nivea.
Der Strandwächter zeigt uns
die Ausziehzone der Gäste.
Prego.
Schade, es gibt keinen Ton.
Man sieht nur
seine wunderschön blitzenden Zähne.
Das nehmen wir raus.
Bikini aber muss sein,
Farbe wäre noch schöner,
auch die Natur
und zweimal die Grenze.
Solln doch die Enkel
mal sehn.

© hertz

Liliencron

Detlev von Liliencron lebte Ende des 19.Jahrhunderts in Schleswig-Holstein. Von 1883 bis 1885 war er Kirchspielvogt in Kellinghusen (Holstein). Geldmangel und Frauengeschichten prägten sein Leben – nicht nur an diesem Ort.

Störkathen ist eine kleine Heidelandschaft unweit von Kellinghusen, die der Dichter gerne aufsuchte. Ein ruhiger Ort, durch den auch Autor schon manchmal geschlendert ist. Vielleicht entstand hier eines von Liliencrons Gedichten, das er der Kieler Zeitung zum Abdruck vorlegte – dort aber bedauerte man.

Der Volontär bei der Kieler Zeitung und angehende Dichter Johannes Kruse bedauert, dass das von Liliencron eingesandte Gedicht Persisches Liebeslied nicht abgedruckt werden kann, da es zu erotisch sei. Das Werk selbst ist aber nicht daran schuld. Vielmehr sei die Redaktion gezwungen, auf das Publikum Rücksicht zu nehmen. „Mancher Backfisch u. rührselige alte Jungfer ist darunter, und zwar nicht nur vom weiblichen Geschlechte. […] Anständige rote Grütze und fromme unschuldige Milch‚ das ist es, was ein ansehnlicher Teil von unsern Lesern verlangt.“

Persisches Liebeslied

Deine dunklen Augenbrauen
Sind zwei sanfte Pfortenbogen;
Eines lichtwechselnden Gartens Eingang
Haben sie zierlich überzogen.

Aber viel schwarze Wimpernspeere,
Die rings ihn, ein reizender Wall, umschmücken,
Setzen sich trotzig gradaus mir entgegen,
Trag ich Verlangen, dort Rosen zu pflücken.

Heut, als meine Liebe glühte,
Ließest du mich nicht länger warten,
Und durch die sanften Bogenpforten
Fand ich den Weg in den Märchengarten.

Die Stunde war still, die Menschen gingen
Vorüber und konnten uns nicht entdecken;
Wir saßen vom Fenster weitab in der Halle,
Sie konnten so hoch nicht die Hälse recken.

Und ungestört, eine selige Stunde,
Durft ich im Paradiese weilen
Und Rosen pflücken, so viel ich wollte;
Ich glaube, wir pflücklen zu gleichen Teilen.

Inzwischen sanken die Wimpernspeere
Wie Fahnen, besiegt auf erstürmtem Hügel,
Und lagen geschlossen in süßer Ermüdung,
Wie des ermatteten Schmetterlings Flügel.

Störkathen

Ja, hier lustwandelt‘ einst der Dichter,
den Geist, die Seele auszulüften,
man sagt, sein Vers sei oft ein schlichter,
versinkt so gern in Frauen-, Cron-
und adlig-feinen Liliendüften.

Ein Heidestein trägt seinen Namen,
es gibt bloß schwarze Kiefern, Schnucken,
nicht reizen Liebesmelodramen,
kein flimmergrünes Augenpaar,
ganz ohne keusches Miederzucken.

Das bringt uns kaum was, Allerliebste,
die Luft, sie beißt, Novemberkühle,
da gehn wir besser aufs Rapidste
den sel’gen Detlev heiß verehr’n
in unsre eignen warmen Pfühle.

© hertz

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